Von der Ostküste durch die Appalachen

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Heute ist Sonntag, wir machen mal wieder einen Tag Pause. Mittlerweile sind wir in Pittsburgh angekommen. Ein kleiner Rückblick auf die letzte Woche:

In Washington verbringen wir gleich zwei Ruhetage, weil wir bei meinem Cousin Alex wohnen, und man sieht sich ja nur selten. Außerdem sind wir auch im Urlaub und nicht auf der Flucht, und es gibt in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten wirklich jede Menge zu sehen. Zum Beispiel Costco, das ist Alex‘ Lieblingsladen und er lässt nicht locker, bis wir endlich mit ihm dorthin gehen. Hier gibt es alles in Riesen-Ausführung und meistens auch noch im Doppelpack. 5 Liter Ahornsirup oder lieber 48 Eier? Eine Rinderhälfte und dazu ein Zentner Kartoffeln? Gleich vorne im Eingangsbereich, thank you! 🙂 Die Regale erinnern keineswegs an einen deutschen Supermarkt wie etwa Edeka, sondern wie die Lagerhalle an der Warenausgabe bei Ikea. Außerdem gibt es Sofas, Autoreifen, Kühlschränke, Rasenmäher und im Kassenbereich ein kleines Sultanat zum Mitnehmen. Wir nehmen aber nur eine Pizza mit, die dort, wie im Supermarkt zu erwarten, in einer eigens eingebauten Großküche nach unseren Wünschen bereitet wird. Deutschland hinkt in Sachen Service und Auswahl den Staaten einfach meilenweit hinterher.

Nachmittags gucken wir in die Innenstadt und sehen uns alles an, was es gibt: Kapitol, Washington Monument, Weißes Haus, eben alles. Der Reflecting Pool ist gerade zu Reinigungszwecken abgelassen und darf nicht betreten werden, deswegen fahren ganz viele Leute mit elektrischen Einrädern darin herum. Erinnert mich an eine Mischung aus Tron, Starlight Express und Die Klapperschlange. Das Wetter ist hervorragend. Abends machen wir noch einen drauf, das ist witzig, weil wir nicht zuhause sind und hier alles frisch und neu erscheint. Der Kater hier ist aber der gleiche wie daheim 😉

Am nächsten Tag gehen wir noch ins Air and Space Museum, das ist klasse, es gibt jede Menge alte Flugzeuge, Hubschrauber, Exponate von den Apollo-Missionen und sogar ein echtes Space Shuttle (genau genommen den Orbiter „Discovery“). Ich bin ziemlich beeindruckt, wie groß die Dinger tatsächlich sind. Kaum zu glauben, dass man sowas in den Weltraum schießen und dann wieder auf der Erde damit landen kann. Außerdem steht hier die „Enola Gay“, das Flugzeug, das die Atombombe auf Hiroshima abgeworfen hat. Bei uns wäre es undenkbar, so ein Flugzeug kommentarlos und ohne aufarbeitende und tiefgreifend erklärende Sonderinformationen auszustellen. Die Amis haben, wertfrei formuliert, wirklich eine ganz andere Einstellung zu ihrer militärischen Vergangenheit. Abends besuchen wir noch Axel, einen weiteren Verwandten und hüpfen dann in unsere Schlafsäcke. Schön wars in Washington!

Es geht weiter! Nach fünf Tagen dichtem Verkehr an der Ostküste freuen wir uns extrem auf den Chesapeake and Ohio Canal Trail, einen Kanalradweg, der uns aus der Enge der Großstadt ruhig und verkehrsfrei endlich wirklich Richtung Westen führen wird. Wer den alten Ludwigskanal in der Nürnberger Gegend kennt, kann sich recht gut vorstellen, wie es hier aussieht. Der C-and-O-Canal ist allerdings gut doppelt so lang. Hier ist es sehr beschaulich, kein Lärm, keine Autos, keine Möglichkeit, sich zu verfahren. Man muss nur immer links vom Kanal bleiben, das kriegen wir gerade so hin. Überall stehen Bäume, es ist schattig und wir kommen gut voran. Wir sehen viele Schildkröten, Eichhörnchen und Vögel.

Unsere erste Nacht hier verbringen wir bei Gary, einem superfitten, weedrauchenden und weitgereisten 83-jährigen, der zwischen seiner Zeit als GI in Bremerhaven und als Restaurantbesitzer in L.A. circa eintausend Berufe hatte und grob geschätzt überall auf der Welt mal gewohnt hat. Die Gastfreundschaft unter den Bikern ist wirklich großartig.

Am nächsten Tag anfangs etwas Nieselregen. Es geht gänzlich flach am Kanal dahin, kaum zu glauben, dass wir gerade mitten durch die Appalachen fahren. Ganz nebenbei bemerkt, hierbei handelt es sich um Berge, genauer gesagt um ein Mittelgebirge, wo es manchmal zu sprunghaften Temperaturveränderungen kommen kann. Wer in Erdkunde aufgepasst und auch schon die neuen Temperatureneinheiten verinnerlicht hat, kann sich denken, was bei 32°F und Niederschlag in dieser Gegend passiert: Es schneit. Damit haben wir nun wirklich nicht gerechnet. Vor allem nicht gleich so viel, Herrschaft nochmal.

California, here we come! Wir kämpfen uns durch zentimeterhohen Schnee und sind am Ende komplett durchgefroren, durchnässt und unsere Räder und Taschen sind von oben bis unten mit Eis, Schnee, Schlamm und Schotter bedeckt. Wir beschließen, die Tagesetappe früher zu beenden und steuern das nächste Motel an.

Die einzig richtige Entscheidung. Nach einer heißen Dusche sieht die Welt schon ganz anders aus. Auch andere Radler sind hier gestrandet, der Kanalradweg ist offensichtlich sehr beliebt. Bis DC haben wir teilweise 0 (in Worten: Null) Radfahrer am Tag gesehen, hier geht’s zu wie auf dem Donauradweg. Naja, zumindest für amerikanische Verhältnisse. Bis Cumberland kommen wir gut voran, dann endet der Kanalradweg, geht aber sofort in einen Bahntrassenradweg über. Wir arbeiten uns mit einer sehr angenehmen, gleichmäßigen Steigung unserem ersten Pass entgegen, gleichzeitig die Eastern Continental Divide auf gut 730 m Höhe. Naja, Höhenkrankheit kriegt man hier noch nicht, aber die echten Pässe kommen noch und man muss ja klein anfangen. Aber auch kleine Pässe können Hochgebirgsfeeling vermitteln, denn hier liegt tatsächlich wieder zentimeterhoch Schnee. Langsam reichts.

Aber je weiter wir wieder bergab fahren, desto wärmer und frühlingshafter wird es. In Ohiopyle zelten wir das erste Mal, weil wir am Ende der Etappe weder einen Warmshowers-Host noch eine bezahlbare Unterkunft finden. Die Nacht ist kühl, aber es ist gut auszuhalten, und Veikkos Kocher darf seine Qualitäten mit Mac and Cheese aus der Fertiggerichteabteilung erfolgreich unter Beweis stellen. Morgens mit den ersten Sonnenstrahlen im Wald aufzuwachen, bei herrlichem Frühlingswetter und frischer Luft, ist schon auch was sehr Feines. Wer braucht ein Sterne-Hotel, wenn er das Sternenzelt zum Campen hat? Mo´ Adventure, sag ich da nur!

Die naechsten zwei Tage lassen wir uns ohne grossen Stress nach Pittsburgh einrollen. Alle Leute, die uns nach unserem Ziel fragen, kommen ins Schwaermen, wenn wenn sie hoeren, dass wir nach Pittsburgh fahren: „Oh, you’re gonna love this city!“ Tatsaechlich gilt die Stadt als Musterbeispiel des Strukturwandels nach dem Niedergang der grossen Stahlindustrie ab den 70er-Jahren. Im Gegensatz zu Staedten wie Detroit hat Pittsburgh es geschafft, sich neu zu erfinden und ist eine junge, lebendige Stadt mit regem Unileben und vielen Startup-Unternehmen geworden. Und tatsaechlich fuehlt man sich hier gleich recht wohl, was mit Sicherheit auch an den eher niedrigen Gebaeuden liegt, die eher an eine europaeische Stadt als an eine US-Metropole erinnern.


Wir haben hier wieder ueber Warmshowers eine Bleibe fuer zwei Naechte gefunden. Hab ich schon erwaehnt, wie genial diese Community ist? Wir sind von Abe und Olivia eingeladen, bei ihnen zu wohnen, und Abe holt uns sogar schon 10 km vor der Stadt ab, um uns durch die Nebenstrassen zu begleiten. Dann ist erstmal chillen angesagt, Zelte trocknen, ein Bierchen trinken und abends gemeinsam grillen. Es schmeckt hervorragend und das Wetter ist absolut sommerlich, wir sitzen barfuss auf der Terasse. Es ist einfach nicht zu glauben, dass wir vor drei Tagen noch durch den Tiefschnee gestapft sind!

Heute wollen wir unser Equipment ein bisschen auf Vordermann bringen, Klamotten waschen und ein bisschen in der Stadt herumgammeln. Es gibt hier auch ein Dinomuseum, vielleicht gehen wir da hin. Vor ein paar Tagen lief Jurassic Park im Fruehstuecksfernsehen, da kommt man gleich wieder in Stimmung. Randnotiz: Das Fernsehprogramm hier ist komplette Anarchie: Die Hard, Werbung, Baseball, Schmuck, Spongebob, Friends, you name it: Alles kommt gleichzeitig und zu voellig beliebeigen Uhrzeiten. Schon sehr witzig!

Das wars fuers erste. Uebrigens, wer ab und zu aktuelle Bilder angucken will, kann auf instagram einfach nach @veikkoruth suchen.

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Gabi

    Phänomenal eure Reise! Ich begleite euch weiter …

  2. Ewald Sauger

    Der blanke Horror (bs auf den tollen supermarkt mit der pizza)!

  3. Mogg

    Ihr schafft das, braucht nur Konservendosen und zwei Unterhosen!

    1. BNO

      Kannste wenden, wa!?

  4. Ailurus Fulgens

    Ich würd appalachen wenn’s nicht so kalt wäre. Aber schee sieht’s schon aus.

  5. Pfau

    Na! Das sieht ja nach einer soliden Radtour aus. Sehr schön – ich hoffe, ihr habt Spaß!? Freue mich schon auf den nächsten Blogpost.

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