Fast, sturdy and comfortable – pick three!

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Kann man mit einem Hollandrad oder mit einem Mountainbike 6500 km durch die USA radeln? Klar, prinzipiell ist das schon möglich. Aber ob man bei 100 Kilometern am Tag noch viel Freude am Fahren hat, steht auf einem anderen Blatt. Mit dem Rennrad tut man sich da schon deutlich leichter, zumal die Straßen in den USA als Autoland meist in recht gutem Zustand sind. Nachteil ist allerdings, dass man auf dem Rennrad nicht allzu viel Gepäck mitnehmen kann, und mit Rucksack will man längere Strecken auch nicht unbedingt fahren – ich zumindest nicht. Schutzbleche, pannensichere Bereifung und Licht sind beim Renner ebenfalls eher Fehlanzeige. Man müsste also ein Fahrrad erfinden, mit dem man auf asphaltierten Straßen so schnell ist wie mit einem Rennrad, das gleichzeitig so viel Gepäck tragen kann wie ein robustes Trekkingrad und das auch mal auf einer Schotterpiste, nachts und bei schlechtem Wetter bewegt werden kann…

Eine Zeichnung aus dem hervorragenden Buch „The Bicycle Illustrations of Daniel Rebour“

 

[*record scratch*] Kurzer Rückblick in die Geschichte: In den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde eine Kategorie innerhalb des Radsports immer populärer, nämlich die der Langstreckenfahrten, bei denen nicht unbedingt die Höchstgeschwindigkeit, sondern eher das Durchhaltevermögen von Mensch und Maschine im Vordergrund standen. Am bekanntesten ist auch heute noch eines der ältesten sogenannten Brevets, die Fahrt von Paris nach Brest, also bis an die Atlantikküste, und dann das Ganze natürlich wieder zurück – 1200 km am Stück. Um bei jedem Wetter, Straßenbelag und bei jeder Tageszeit fahren zu können, und das auch noch möglichst zügig, wurden Fahrräder auf Basis von Rennrädern entwickelt, die genau die Ansprüche der Teilnehmer bedienten: Der Randonneur (oder auch die Randonneuse, je nach Gegend) war geboren. Einer der bekanntesten Hersteller dieser Zeit war und ist René Herse, dessen Randonneure fast schon zum Synonym für schnelle, belastbare Reiseräder mit einer Riesenportion Stil, Charme und Handwerkskunst geworden sind und jedem „artisan framebuilder“ als Vorbild dienen. Sehr zu empfehlen ist übrigens die mehr als umfassende Biographie von Jan Heine – tolle Bilder und ausführliche Recherche.

 

 

 

 

 

 

Zurück in die Gegenwart: Die Grundidee der Randonneure ist immer noch genauso lebendig wie vor fast hundert Jahren. Das Lastenheft und das Prinzip der Rahmengeometrie haben sich in der ganzen Zeit kaum verändert und wurden immer wieder bestätigt. Heutzutage gebaute Randonneure sind häufig Maßanfertigungen, die Besitzer*innen wissen oft recht genau, was sie wollen und brauchen. Das Faszinierende an Randonneuren ist, dass sie irgendwie erst vollbepackt und auf Langstrecken so richtig zum Leben erwachen, und sich bei einer bestimmten Geschwindigkeit auf einmal so richtig „rund“ anfühlen. Ich selbst baue sehr gern solche Fahrräder, weil ich auch selbst gern Radreisen mache und daher bereits beim ersten Entwurf eines neuen Rahmens die sonnigen Landstraßen und den Wind in den Haaren vor Augen habe. 🙂

Ein Randonneur für eine Fahrerin von 165 cm Körpergröße (26″-Räder)

 

Das Fahrrad, mit dem ich auf der USA-Reise unterwegs sein werde, kann man als ziemlich „klassischen“ Randonneur bezeichnen. Die Rahmenrohre stammen hauptsächlich aus der Columbus Zona-Serie, damit trifft man eigentlich immer eine ganz gute Mischung aus Gewicht und Belastbarkeit. Zusammengehalten wird alles von Long-Shen-Muffen und einigen Stangen Silberlot. Steuerrohrwinkel 72,5°, Nachlauf rund 50 mm, Kettenstrebenlänge 445 mm, Radstand 1050 mm, horizontales Oberrohr – nothing fancy here.
Die Geometrie basiert in weiten Teilen auf meinem Gazelle-Randonneur aus den späten 80er-Jahren, mit dem ich zum Beispiel schon von München über den Großglockner-Pass nach Venedig gefahren bin. Das war eine klasse Tour, und ich mag dieses Fahrrad wirklich sehr gern. Aber, das Bessere ist wie immer des Guten Feind, und daher gibt es natürlich auch hier noch Luft nach oben. Also unterscheidet sich mein aktuelles Reiserad in ein paar Punkten vom alten: Der größer dimensionierte Rohrsatz, Gabel mit gewindelosem Schaft und die Rahmenmaße: Längerer Hinterbau und insgesamt etwa 1 cm höher und 1 cm kürzer. Ich habe ein bisschen längere Beine und kürzere Arme als der damalige Durchschnitt. 😉 Zusätzlich habe ich natürlich ein paar Gewindeösen, Anlötteile etc. nach meinen Vorlieben angebracht.

Bei den Komponenten habe ich mich an bewährte und robuste Teile gehalten: Shimano 105er- und XT-Schaltung, Stronglight-Kurbeln, Brooks-Sattel, Tubus-Gepäckträger, SON-Nabendynamo, Mavic-Felgen, Marathon-Reifen in 32 mm usw. Abgerundet wird die Fuhre mit Ortlieb-Taschen, und damit ist das große Besteck des typischen Reiseradlers vollständig. Es gibt sicherlich leichtere und schickere Sachen, aber ich bin da eher „pragmatisch“ unterwegs, wobei das natürlich Tiefstapelei auf hohem Niveau ist, und ein Weltreiseradler, der mit diesem Fahrrad durchs Pamir-Gebirge fahren soll, wird vermutlich ein Schmunzeln nicht unterdrücken können. Aber wir fahren unsere Meilen ja hauptsächlich auf kerzengeraden Highways auf Asphalt.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Liebhaber

    Mir gefiel der record scratch am besten.

  2. Reinhard Neder

    Ich wünsche euch eine tolle Tour! 1985 habe ich mit einem Kumpel eine ähnliche Tour gemacht, es ging erst an der Pazifikküste nach Oregon, dann über die Sierra, über die Rockys, entlang der Kanadischen Grenze, durch Ontario, Upstate-New York nach Boston. War ein prägendes Erlebnis. Damals hatte ich eines der ersten Tourenräder von Peugot, ähnliche low-rider und Taschen wie auf euren Fotos. Das Rad war „nur“ von der Stange ohne Möglichkeiten für persönliche Modifikationen hat aber sehr gute Dienste getan. In fast 35 Jahren mag sich viel verändert haben, aber seinerzeit waren die Menschen in den kleinen Dörfern extrem gastfreundlich. Man ist halt sehr exotisch, wenn man mit der vollen Montur in ein Dorf radelt und kommt sehr schnell ins Gespräch. Erst aus Versehen, dann gezielt haben wir dort nach Wasser gefragt, wo viel Kinderspielzeug im Garten stand 🙂 Das wurden die besten Abende.

    1. Andi

      Hallo Reinhard,

      vielen Dank für den Tipp! Wir werden ihn im Hinterkopf behalten. Über die (gast-)freundlichen Menschen, besonders abseits der großen amerikanischen Metropolen, habe ich auch schon viel Positives gehört. Ich bin sehr gespannt! 😉

    2. BNO

      Halt den Rand[onneur]!

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