Durch Illinois und Wisconsin

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Heute ist Sonntag, der 8. Mai. Pünktlich zum Muttertag überqueren wir den „father of the waters“, den „old man river“, den Mississippi. Der Fluss war über lange Zeit hinweg die Grenze zwischen dem besiedelten Osten und dem unbesiedelten Westen der USA, und auch für uns stellt er natürlich eine wichtige Wegmarke auf unserer Reise dar. Bis vor kurzem dachten wir noch, nach Chicago beginnt die endlose Weite des Westens… Erstmal ein kurzer Rückblick auf die letzten Tage:

In Chicago machen wir unsere dritte wohlverdiente Ruhepause. Wir haben wieder mal eine Unterkunft über Warmshowers gefunden, diesmal bei einem sehr netten Mädel namens Jakki, die auch schonmal die gesamte Westküste mit dem Fahrrad bereist hat. Sie und ihr Freund führen uns am ersten Abend schön lecker zum Pizzaessen aus, allerdings gibt es keine Deep-Dish-Pizza, wie sie alle Touristen speisen sollen, von der uns aber dringlichst abgeraten wird, sondern eine Chicago-Style-Pizza, sehr dünn und und in kleine Quadrate geschnitten und ziemlich gut. Chicago hat auch viele Biersorten zu bieten, die wir alle probieren müssen. Es ist schlimm auf so einer Reise, immer muss man irgendwas.

Am nächsten Tag zeigt mir Veikko seine Lieblingsplätze in Chicago, denn er kennt die Stadt schon von diversen Dienstreisen. Wir gucken den Trump Tower an. Er ist sehr groß. Wir gucken auch den Willis Tower an, er ist auch sehr groß.

Groß ist auch die silberne Bohne, die „bean“, ein beliebter Selfie Spot. Man kann sich darin spiegeln und über sein verzerrtes Ich schmunzeln. Was für eine Stadt! Leider ist das Wetter eher zum Weinen. Es ist richtig kalt und ordentlich windig. Die „windy City“ wird ihrem Namen wirklich mehr als gerecht (Einschub: Wir wissen mittlerweile, dass der Name eigentlich von den ganzen windigen Geschäften und der Korruption kommt, für die Chicago auch bekannt ist). Dann gehen wir in die zweite Ebene der Innenstadt, sieht aus wie eine Tiefgarage, ist aber ein komplettes zweites Level von Straßen unterhalb der eigentlichen Stadt. Bekannt aus Filmen wie Batman. Gruselig und spannend! Dort unten ist auch Billy Goats Tavern, ein Bier- und Burgerladen, wo Veikko alle seine Bekanntschaften hinschleppt, wenn er hier ist. Gruselig und spannend!

Dann laufen wir noch hier und da umher und gucken hauptsächlich nach oben. Um dem miesen Wetter auch was Schönes abzugewinnen, kann man erwähnen, dass die Skyscraper tatsächlich die Wolken kratzen, so tief hängt heute alles.

Außerdem zeigt uns Jakki noch ihren Arbeitsplatz, die Metallwerkstatt in der Kunsthochschule und später am Abend ihre Lieblingsbar, ein ehemaliges Hotel, wo es aussieht wie in einem Gentlemens-Club im 19. Jahrhundert, und es ist alles echt. Als normaler Tourist würde man so einen Ort vermutlich nie finden.
Am nächsten Tag starten wir mit einem ausgiebigen Frühstück und fahren bei kühlen Temperaturen langsam aus der Stadt raus. Schön wars in Chicago!

Über Freunde von Veikko wurde uns der Kontakt zu deutschen Leuten in einem Chicagoer Vorort vermittelt, die sich freuen würden, uns für eine Nacht zu beherbergen, und weil sie tatsächlich ziemlich genau auf unserer geplanten Route wohnen, nehmen wir dieses Angebot natürlich gerne an. Es geht mal wieder auf einem Rail-Trail, also einem Bahntrassenradweg, aus der Stadt raus, und das Wetter wird immer besser, um sich gegen Abend in einen herrlichen Frühsommertag zu verwandeln. Wir kommen an eine gesperrte Brücke, wo gerade eine Baustelle stattfindet, aber wir benutzen sie illegalerweise trotzdem und haben so am Ende noch ein paar Kilometer Autobahn für uns alleine. Auch ein nicht ganz alltägliches Erlebnis!

Den Abend verbringen wir bei Uschi aus Wiesbaden und werden königlich bewirtet. Ihr Mann ist leider auf Dienstreise. Es tut richtig gut, mal einen ganzen Abend auf deutsch Konversation führen zu können, weil man in der eigenen Sprache vieles doch ganz anders erzählen und wiedergeben kann als auf englisch. Für mich hat das fast schon therapeutischen Charakter, sich mal ein bisschen was von der Seele reden zu können, ohne beim Erzählen immer so viel nachdenken zu müssen.

Jetzt lassen wir Chicago mit seinen Vororten aber wirklich hinter uns. Das Land beginnt sich langsam zu verändern. Die Besiedelung wird dünner, die Straßen gerader. Von der endlosen Weite ist aber noch nicht wirklich was zu spüren. Wir kommen gut voran und haben sogar mal wieder Rückenwind (Spoiler-Alert: Bis Sonntag wird das auch so bleiben, wir haben bisher wirklich ein wahnsinniges Glück mit dem Wind. Teilweise fahren wir 30 oder 40 km/h und es fühlt sich an, als würde man sich im luftleeren Raum bewegen. Absolut irre). Wir fahren über back roads oder country roads, vorbei an houses, farms and fields. Am Freitag zelten wir endlich mal wieder, das wurde aber auch Zeit! Bisher war es nachts einfach zu kalt dafür, aber mit dem Mai scheint jetzt endlich der Frühling richtig loszugehen.

Und aufs Zelten haben wir uns ohnehin schon die ganze Zeit gefreut: So nett es auch ist, die Nacht in einem Motel mit heißer Dusche zu verbringen, so übersaturiert ist man auch irgendwann von den immergleichen Betten, Klimaanlagen, Mikrowellen und dem Fernsehprogramm. Ẃir finden einen netten Zeltplatz in Sauk City und ein älteres Dauercamper-Ehepaar, Rick und Melissa, nimmt uns gleich unter ihre Fittiche und lädt uns nicht nur zum abendlichen Lagerfeuer mit all den anderen Campground-People ein, sondern fährt mit uns am nächsten Morgen auch noch zu einem Frühstücks-Diner „just around the corner“ (entspricht insgesamt einer 40-minütigen Fahrt im Auto), wo wir ein gigantisches Frühstück serviert bekommen. Die Leute hier sind echt klasse!

Wir erfahren auch, dass in Wisconsin viele Leute mit deutschen Wurzeln leben, und tatsächlich erzählen uns fast alle, dass sie „at least quarter german“ sind. Angeblich haben sich hier so viele deutsche Siedler niedergelassen, weil sie die Gegend in Wisconsin so sehr an ihre Heimat erinnert hat. Das können wir bestätigen: Es sieht teilweise aus wie eine Mischung aus Fränkischer Schweiz und Mitteldeutschland, irgendwo zwischen Kassel und Frankfurt. Es ist grün und sanfte, weitgewellte Hügel streifen ahnungsvoll die Interstate.

Wir fliegen mit Rückenwind und herrlichen Straßen ohne Verkehr nur so dahin, bis wir unseren nächsten Zeltplatz erreichen, wunderschön im Wald gelegen und wegen Off-Season auch fast komplett leer. So früh im Jahr unterwegs zu sein hat auch Vorteile! Hier machen wir endlich unser erstes, eigenes Lagerfeuer und man kann schon Sterne durch die Kiefernäste erkennen. Ein kleiner Gruß aus der Küche und ein Vorgeschmack auf die Rocky Mountains, hoffentlich. Das Frühstück unter freiem Himmel schmeckt natürlich auch viel besser als im Motel: Während wir uns dort mit der immergleichen Mischung aus dünnem Kaffee, Toastbrot, Erdnussbutter, Bananen und Haferflocken abgeben mussten, genießen wir hier leckeren Kaffee, frisches Toastbrot, Erdnussbutter, Bananen und Haferflocken. Einfach herrlich, dieses Leben outdoor!

Unser Weg führt uns auch durch Madison, hier ist der Hauptsitz der Universität von Wisconsin. Veikkos Doktorvater Willi Kalender hat hier studiert und promoviert.

Dann geht’s endlich zum Mississippi. Diesen Fluss zu erreichen ist für jeden cross-country-Radfahrer ein Erlebnis, und aus Filmen, Songs und natürlich den „Onkel Dagobert: Sein Leben, seine Milliarden“-Comics von Don Rosa ist uns der Fluss allen wohlbekannt. Die Flusslandschaft ist beeindruckend, und wer den Pegnitz-Radweg in der Nürnberger Gegend kennt, kann sich nicht vorstellen, wie es hier aussieht, denn die Sümpfe und wetlands sind eine Klasse für sich.

In einem Ort namens Winona gibt es nicht nur eine für Fahrradfahrer befahrbare Brücke über den Fluss (und davon gibt es gar nicht mal so viele), sondern auch wieder ein sehr nettes Warmshowers-Pärchen, bei dem wir unterkommen und an deren Küchentisch ich gerade diese Zeilen tippe. Die Katze ist auch da und guckt mir zu. Sie heißt King Caramel. Man merkt, dass ich langsam den Faden verliere, deshalb hier schnell zu Rettung der Ausblick auf die nächsten Tage: Seit Washington waren wir immer irgendwie in einer nordwestlichen Richtung unterwegs, weil wir auf Höhe der Badlands und der Black Hills kommen wollten. Mit dem heutigen Tag haben wir aber endlich unseren Breitengrad erreicht, und ab morgen steht für die nächsten 1000 km nur noch ein fettes „W“ auf dem Kompass. Und jetzt beginnt dann aber wirklich die endlose Weite des mittleren Westens… bitte alle die Daumen drücken für noch mehr Rückenwind! 😉

 

 

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare

  1. Astro

    Ich drücke die Daumen, ihr Astronauten!

  2. Jeff

    Hello Veikko: This is Jeff Zechlin, husband of Ronna Scott. I enjoyed reading your most recent blog. I was born and raised in Beloit, WI, just south of Janesville where you apparently stayed. Ronna and I met at the University of WI in Madison.
    I am glad to hear the wind has been at your back for some of the time. South Dakota may not be the same!
    Good luck on your trip.

    1. Veikko

      Dear Jeff, great you found this blog. Wisconsin is just a beautiful state, we really enjoyed the countryside and the people here. We also visited Madison and rode across the campus, a very nice university, it must be great studying there. Furthermore we had Wisconsin beer and cheese to get the full experience, we enjoyed both. So far definitely our favorite state.

  3. Ailurus Fulgens

    Rückenwind hört sich gut an. Ich finde abgefahren wie wenig Laub da noch an den Bäumen ist.
    Gute Fahrt!

  4. Ewald Sauger

    Beine so dick wie Bäume! Mast und Schottbruch Ihnen!

  5. Sauwald Eger

    Kann mich meinem Vorredner nur anschließen. Lassts krachen, Jungs!

  6. Elli

    Ihr lieben, es hört sich so an als ob die Reise von Tag zu Tag besser wird! Aber Ailurus Fulgens hat völlig recht: Hier steht der Mai wirklich in vollem Saft es ist alles unglaublich grün. Bei euch siehts noch ein bisschen wie Frühfrühling aus… Und Andi ich finds schön dass du endlich mal ein Lagefeuer machen konntest. Damit bist du jetzt offiziell in den USA angekommen <3

  7. Ailurus Fulgens

    Zwei Tage mit über 150 km – ultrafett.

  8. Debbie

    The Sauk City campfire was at my camper and we all say Hello and wish you safe travels trough the rest of the states.

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